Band II - Zweiter Teil Die Gebote Gottes
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nicht auszuschließen (vgl. GS 71,6; CA 43,3). Bei einer Abwägung darüber, ob unter bestimmten Umständen eine Enteignung oder eine Begrenzung des Eigentums dem Gemeinwohl mehr dient, ist davon auszugehen, daß persönliches Eigentum zwar prinzipiell den Vorrang hat, aber eine Enteignung oder Begrenzung nicht ausschließt.

Bei ungerechtfertigter Enteignung bleibt der Rechtsanspruch auf Rückgabe des Eigentums bestehen. Würden sich in einer gesellschaftlich veränderten Lage dadurch jedoch schwere Nachteile für den jetzigen Besitzer ergeben, der den Besitz "in gutem Glauben" als Eigentum erworben hat, oder würden durch die Rückgabe an den früheren Eigentümer schwere Nachteile für das Gemeinwohl (zum Beispiel durch Behinderung von notwendigen Investitionen) entstehen, so wäre abzuwägen, ob Rückgabe oder Entschädigung in Betracht käme. Bei einer Entschädigung müßte es sich um eine angemessene Entschädigung (Verkehrswert) handeln.

Der dritte Grundsatz der katholischen Soziallehre über das Eigentum besagt, daß niemand das Recht hat, die Güter ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Mitmenschen zu gebrauchen oder gar zu vernichten. Es gibt eine Sozialbindung (Sozialpflichtigkeit) des Eigentums; auf dem Eigentum liegt eine unauslöschbare soziale Hypothek (vgl. SRS 42). So haben zum Beispiel Eigentümer von Produktivkapital die Pflicht, es bereitwillig und verantwortungsbewußt einzusetzen. Es besteht auch die Pflicht, vom eigenen Überfluß den Notleidenden zu geben. Auf diese Weise wurde in der mittelalterlichen Gesellschaft auf dem Weg des Almosengebens ein nicht geringer Teil der Bevölkerung versorgt. Heute wird die Sozialbindung des Eigentums weitgehend durch eine progressiv mit dem Einkommen steigende Besteuerung verwirklicht. Der einzelne kann seine Sozialverpflichtung nicht durch Almosen ableisten, sondern hat einen genau festgesetzten Anteil an die Gemeinschaft abzuliefern. Über diese Verpflichtung hinaus besteht aber auch weiterhin die Solidaritätspflicht, den Notleidenden zu helfen. Das Motiv hierfür ist die vorrangige Liebe für die Armen.
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