Band II - Zweiter Teil Die Gebote Gottes
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rechtlichen Strukturen einen unbedingten sittlichen Anspruch geltend, der in der Beziehung der Ehegatten auf die Verwirklichung der Liebesforderung zielt. Diese ist nur möglich, wenn Mann und Frau gleichwertige Partner sind.

Die Absicht Jesu, den gleichen Rang und die gleiche Würde der Frau gegenüber dem Mann zur Geltung zu bringen und die Frauen aus den Fesseln damaliger Anschauungen und Gewohnheiten zu befreien, wird in der Urkirche ernstgenommen. Paulus greift auf die Taufe zurück, in der die bisherigen Unterschiede überwunden und alle Getauften zu einer Einheit in Christus zusammengeführt sind. "Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus" (Gal 3,27f). Dieser grundlegende theologische Satz, der die Schöpfungsordnung in der von Christus gebrachten Neuschöpfung neu auslegt, zielt dahin, die bisherigen trennenden Schranken und Hemmnisse zu überwinden.

Die gläubige Erkenntnis in die Praxis umzusetzen war selbst für Paulus nicht leicht (vgl. 1 Kor 11,2-16), obwohl er Frauen zur vollen Teilnahme am Gemeindeleben berief, ja leitende Aufgaben (vgl. Röm 16,1-5 u. a.) und missionarische Tätigkeit (vgl. Röm 16,7) von Frauen anerkannte. In der Zeit nach Paulus gab es auch Tendenzen, Frauen stärker dem häuslichen Bereich zuzuordnen (vgl. 1 Kor 14,34f mit 1 Tim 2,11-15; ferner 1 Petr 3,1-6; Tit 2,5; 1 Tim 5,11-14). Die Mahnung an die Männer, ihre Frauen zu lieben, die auch in römisch-hellenistischer Ethik auftaucht, empfängt in Eph 5,25-32 innerhalb einer christlichen "Haustafel" eine einzigartige Vertiefung: "Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat" (5,25). Das Vorbild der dienenden Liebe Christi mußte die Haltung des Mannes zu seiner Frau verändern: statt patriarchalischer Machtausübung hingebende Liebe. Im übrigen mahnt Eph 5,21 alle Christen, Männer und Frauen: "Einer ordne sich dem anderen unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus." - Das hohe Bild der Ehe, das hier entworfen wird, bleibt in der Wirklichkeit dieser Welt gewiß ein nie einholbares Ideal; es deckt aber eine Sicht auf, in der Liebe und Treue in der Ehe nicht unerreichbar erscheinen.


Auch in der Gegenwart wird der Frau nicht immer jene Anerkennung und Achtung gewährt, die ihr zukommt. Mit Recht wehren sich Frauen und Männer aber auch gegen extreme Bewegungen, die den Reichtum der Verschiedenheit der Geschlechter aufzuheben versuchen und so das Bild der Frau in seinen spezifischen Werten verfälschen. Mann und Frau sind zwar gleichwertig, aber nicht gleichartig. Unterordnung, Gegensätzlichkeit oder einseitige Emanzipation werden der Beziehung der Geschlechter nicht gerecht.

Wer meint, wegen der Gleichwertigkeit komme es für die Frau darauf an, dem Mann gleich zu sein, macht fälschlicherweise den Mann zum Maßstab des Menschseins. - Zum vollen Menschsein gehört, daß der Mann ganz Mann und die Frau ganz Frau ist und daß beide einander ergänzen.
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