Band II - Erster Teil Ruf Gottes - Antwort des Menschen
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"Mit Recht wird diese Freiheit heute hoch geschätzt und leidenschaftlich erstrebt. Denn zur Würde des Menschen gehört seine freie Selbstbestimmung (Autonomie); der Mensch will und muß sein persönliches und gesellschaftliches Leben eigenverantwortlich selbst gestalten" (KEK 1, 122).

Unsere Würde unterscheidet uns von allen anderen innerweltlichen Wesen; in ihr erfahren wir unsere Verantwortung; wir tragen Verantwortung für uns selbst und für andere. Diese Fähigkeit engt nicht ein, sondern befreit zu verantworteter Bindung. Die in Freiheit getroffenen Entscheidungen sind unsere persönlichen Entscheidungen. Es sollen überlegte Entscheidungen sein, denn für sie sind wir verantwortlich (vgl. KKK 1734-1736; VS 39).

Freiheit und Anspruch zu verantwortlicher Entscheidung erfahren wir grundlegend im Mitsein und in Mitmenschlichkeit. In Begegnungen, die uns sittlich herausfordern, erkennen wir, daß Freiheit nicht individualistische, egoistische oder Willkürfreiheit sein soll, sondern sie findet ihre Ermöglichung und ihre Grenzen an der Freiheit der anderen, an ihrer Zuwendung, an ihrer Liebe, an ihrer Würde und an ihren Rechten. Nur so ist ein sinnvolles Leben in Gemeinschaft möglich. Da jeder Mensch die gleiche Würde besitzt, müssen alle auf diese achten und dürfen sie niemals für egoistische Zwecke mißbrauchen (vgl. KKK 1738).

Diese Erfahrung der Freiheit als beanspruchte Freiheit hat zu dem allgemein anerkannten Prinzip geführt: "Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinem andern zu" (Goldene Regel). "Die menschliche Person bedarf des gesellschaftlichen Lebens. Dieses stellt für sie nicht etwas Zusätzliches dar, sondern ist ein Anspruch ihrer Natur. Durch Begegnung mit anderen, durch wechselseitige Dienste und durch Zwiesprache mit seinen Brüdern und Schwestern entwickelt der Mensch seine Anlagen und kann seiner Berufung entsprechen" (KKK 1879). Identitätsfindung und können nicht auf Kosten anderer erstrebt werden. Wer das dennoch versucht, handelt zutiefst inhuman und verletzt dadurch sich selbst und den anderen. Wenn in der Gemeinschaft das Ethos der Mitmenschlichkeit überzeugend verwirklicht wird, kann es der einzelne in persönlicher Freiheitsentscheidung übernehmen und zur Grundlage seiner individuellen Identität und Selbstverwirklichung
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